Ansichten eines Zaungastes

Es war an einem ganz gewöhnlichen Montag abend, als meine Frau mir nach einem Blick auf den von ihr stets ordentlich geführten Kalender mitteilte, daß da für den kommenden Samstag schon wieder so ein Freiflugtermin in meiner Terminspalte drin stünde. Im Geiste ging ich schon meine Modelle durch und begann zu überlegen, was ich wohl noch alles richten wollte….doch halt, wo sollte denn der Wettbewerb sein? Da kam es mir wieder in den Sinn, es handelte sich um den ersten Ranglistenwettbewerb des Jahres in der Saalflug-Königsklasse F1D. Da wollte ich doch schon im vorherigen Jahr als Zaungast erscheinen, um mir von den schwebenden Schönheiten persönlich ein Bild machen zu können. Leider ist damals nichts daraus geworden; ich konnte allerdings schon nicht mehr errinnern, warum eigentlich nicht. Wie auch immer, dieses Jahr wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Um mich keinesfalls drücken zu können, habe ich mich sicherheitshalber als Zeitnehmer verpflichten lassen.

So war es also und ich brach am nicht mehr allzu frühen Morgen Richtung Dillingen an der Saar auf. Erfreut viel mir auf, daß die F1D-Leute ob der ruhigeren Hallenwetterlage lieber erst nachmittags mit dem Wettbewerb anfangen. So mußte ich die etwa vierstündige Autofahrt nicht zu unchristlichen Zeiten beginnen. Ruhig floß der Verkehr dahin und das Radio war mein fröhlicher Begleiter. So war ich schon über das Stuttgarter Kreuz hinaus, als ich mich fragte, in welchem Fall Grönemeyer ein Mann für einen Mann hält. Doch ehe ich meine Gedanken zu Ende führen konnte, spülte der einfältige Radiosingsang mit dem schlichten Text „Sugar…oh honey, honey“ jegliche intellektuelle Geistesanwandlunge sicher weg. So verging die Fahrt, als mir auf der Umfahrung von Pforzheim das Richtungsschild zu Maulbronn ins Blickfeld geriet. Die ehemalige Zisterzienserabtei zu Maulbronn, die in Ihrer Klosterschule einst Größen wie Friedrich Hölderlin und Hermann Hesse ausgebildet hat. Kurz geriet ich in Versuchung, einen Abstecher dort hin zu unternehmen, aber ein Blick auf die Uhr und meine Verpflichtung als Zeitnehmer hielten mich von diesem Ansinnen zurück. Die Fahrt ging also fröhlich weiter. Ich betrachtete also fortfolgend die außergewöhnliche Schönheit der Pfälzer Rotsandsteine und erreichte rechtzeitig das Saarland. Dillingen begrüßte mich mit kräftiger Cumulusbewölkung und sonnigen Abschnitten.

Als ich die Halle betrat, traf ich als erstes auf Thomas Merkt, der intensiv in die Fertigstellung eines neuen F1D-Modelles vertieft war und somit kaum Zeit fand, sich mit Zaungästen zu befassen. Der Routinier Uwe Bundesen erprobte eines seiner Modelle mit halbem Strang, um die ideale Einstellung für seinen Verstellpropeller zu finden. Wenig später erschien Karl Schönfelder und Lutz Schramm, wobei mir der zuletzt Genannte gleich anbot, ein Bierchen zu trinken….ein alkoholfreies, versteht sich! Auch Karl öffnete alsbald seine Modellkiste und erprobte die Leistungsbereitschaft seiner Modelle. Schon war die Zeit für den ersten Durchgang gekommen, den Altmeister Alfred Klinck in seiner Funktion als Wettbewerbsleiter souverän eröffnete. Es sei gesagt: es ist ein Traum diese filigranen, schwebenden Kunstwerke fliegen zu sehen. 1,2 g Zellengewicht, nur 0,6 g Gummi und Spannweiten bis zu 55 cm. Durch den Verstellpropeller haben sie im Gegensatz zu den Einsteigerklassen einen sehr langsamen Steigflug. Aber auch bei den F1D-Modellen begrenzt die Hallenhöhe den Drang nach oben. Nach etwas mehr als der halben Flugzeit fliegen sie wieder auf Augenhöhe. Und dann passiert etwas erstaunliches: die Modelle beginnen mit einem zweiten Steigflug zur Decke. Wie ist das nur möglich? Nun, die Erklärung ist einfach, obschon das Finden der perfekten Einstellung hierzu eher einer Kunst gleicht: Der Verstellmechanismus der Luftschraube reduziert bei nachlassendem Drehmoment die Steigung soweit, daß der erzeugte Schub wieder für das Steigen reicht. Lutz Schramm zeigt im zweiten Durchgang mit leichter Hand, wie das aussehen soll und erreicht die Tagesbestzeit mit 30:05 min.

Karl und Uwe zeigten ebenfalls beeindruckende Flüge, wobei Karl sich mit jedem seiner Flüge bis auf 25:44 min steigerte. Uwe erreichte nach dem vierten Flug mit 27:04 min seinen Leistungszenit. Was aus den Fachsimpeleien herauszuhören war, ist die Gummiqualität nebst der Abstimmung des Verstellpropellers wohl ein zentraler Schlüssel zum Erfolg. Wobei ein sauber gebautes Modell mit erfolgsversprechenden Konstruktionsprinzipien wohl die Grundvoraussetzung sein dürfte. Die Aura des geheimnisvollen bleibt…es ist eben doch ein Bündel von Faktoren und Einflußgrößen zu beachten; mehr als es sich hier in wenige Sätze packen ließe. Thomas Merkt nutzte den Tag und stellte neben dem Wettbewerb noch sein neues Modell fertig. Ich habe mich früher immer wieder gefragt, ob es denn nicht langweilig sein muß, den langen Flug eines Saalflugmodells zu verfolgen. Nach meinem Besuch in Dillingen kann ich dies entschieden verneinen. Zu groß ist die Faszination des langsamen Fluges. Mit Respekt ziehe ich den Hut vor den flugtechnischen Fähigkeiten unserer F1D-Piloten, die mit Feingefühl ihre Modelle mit den langen Teleskopstangen behutsam auf die richtige Flugbahn zurückführen. Spannung und Geruhsamkeit sind keine unvereinbaren Gegensätze mehr – der Saalflug erzeugt aus diesen Elementen eine neue, ansteckende Symbiose. Der Bazillus Indooricus könnte mich wohl dazu führen, daß ich im nächsten Jahr mit einem wahrscheinlich viel zu schweren F1D-Modell, gespannt und geruhsam zugleich, Letzter der F1D-Rangliste werde.